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Mütter besonders leidensfähig

Verein Frauen helfen Frauen berät Betroffene von häuslicher Gewalt VON VERONIKA SCHADE

Gegen Frauen gerichtete Straftaten sind in Deutschland an der Tagesordnung. Foto: dpa

Offenbach – Sie ist bittere Realität im Alltag vieler Frauen: Gewalt durch den eigenen (Ex-) Partner. In Offenbach nahm sie dieses Jahr im Mai ihre drastischste Form an, als eine Frau hinterrücks erschlagen wurde. Allein in diesem Jahr wurden in Deutschland bereits 119 Femizide begangen, also Morde an Frauen wegen ihres Geschlechts.

Für jede dieser Frauen soll am Montag eine Kerze entzündet werden: Zur gemeinsamen Gedenkveranstaltung für alle von Gewalt betroffenen und durch Femizid getöteten Frauen ruft der Verein Frauen helfen Frauen für Montag auf – dem Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen.

Eigentlich müsste man meinen, der 1960 ins Leben gerufene Tag verliert nach Jahren der Emanzipation und eines erstarkenden Feminismus an Bedeutung. Leider ist das Gegenteil der Fall. Patriarchale Strukturen sind in weiten Teilen der Gesellschaft nach wie vor üblich. „Und es ist leider so, dass auch im weltpolitischen Geschehen Rückwärtsgewandtheit statt Modernisierung vorherrscht“, sagt Marie Bonaventura vom Verein Frauen helfen Frauen, der in Offenbach eine Beratungsstelle und das Frauenhaus betreibt.

Sexualisierte und häusliche Gewalt seien Erscheinungen dieser Strukturen. Ob in Form von Beleidigungen, anzüglichen Bemerkungen und Stalking über Schläge und körperliche Gewalt bis hin zur Vergewaltigung oder gar Femizid – die Formen der Gewalt sind vielfältig. Ebenso wie die Frauen, die von ihr betroffen sind: „Alle gesellschaftlichen Schichten, alle Altersgruppen. Das lässt sich nicht genauer eingrenzen“, weiß Bonaventura.

Laut der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) wurden allein in Offenbach im vergangenen Jahr 207 Frauen und Mädchen Opfer häuslicher Gewalt. Doch das sind nur die von der Polizei ermittelten Fälle. „Die Dunkelziffer liegt um ein Vielfaches höher“, sagt Vereinsmitarbeiterin Katharina Heß. Man geht von etwa 1720 Frauen aus.

236 Betroffene suchten vergangenes Jahr die Beratungsstelle des Vereins auf. Das Angebot wird mit einer offenen Sprechstunde so niedrigschwellig wie möglich gestaltet, erfordert der Schritt doch meist viel Überwindung und Mut. Oft sind die Frauen schon jahrelang in einer Gewaltspirale. „Und wenn da auch noch Kinder sind, zögern sie. Mütter erleiden viel für ihre Kinder, wollen sie nicht aus der Familie und ihrem Umfeld rausreißen“, berichtet Heß. „Dabei ist gerade das Miterleben der Gewalt seitens der Kinder ganz klare Kindeswohlgefährdung.“

Die Frauen seien unsicher über ihre Ansprüche und Rechte, wüssten oft nicht, wie vorzugehen sei, ob sie sich überhaupt trennen sollen. „Wir raten nie explizit zur Trennung, sondern versuchen mit den Frauen herauszuarbeiten, was sie in der Beziehung hält, ihnen ihre Situation zu spiegeln“, erklärt Bonaventura. „Die Entscheidung müssen sie selbst treffen. Voraussetzung ist, dass sie eine Veränderung wollen.“ Es gelte, die Wünsche der Frauen, ihre Zukunftsperspektiven und vor allem ihre Sicherheit abzuwägen. Manche sind akut bedroht, werden direkt in ein Frauen- und Kinderhaus vermittelt.

Doch die Plätze in den Frauenhäusern reichen nicht. 2023 musste der Verein 224 suchenden Frauen und 235 Kindern aufgrund fehlender Plätze absagen. In der ersten Hälfte von 2024 wurden 152 Frauen und 186 Kindern aus dem Grund abgesagt. Eine Wohnung zu finden, ist für Betroffene ebenfalls äußerst schwierig – dabei hängt der Schritt zur Trennung oft davon ab. „Hier ist die Politik dringend gefordert, gezielt Wohnraum für solche Bedarfe zu schaffen“, sagt Heß.

Dass dies wohl ebenso wenig umgesetzt wird wie mehr Geld für die Beratungsstellen und eine Aufstockung des Personals, ist ihr klar: „Dabei würden wir gern noch mehr machen, etwa in der Präventionsarbeit. Mehr Aufklärung an den Schulen wäre wunderbar.“ Auch Familienmitglieder, Freunde und Nachbarn können die Beratung aufsuchen, wenn sie in ihrem Umfeld etwas beobachten. Denn Gewalt gegen Frauen ist kein Kavaliersdelikt. Sie ist ein Verbrechen.

 

Gedenkaktion am Montag

von 14 bis 16 Uhr auf dem Wilhelmsplatz. Es werden Kerzen angezündet.

Offene Sprechstunde donnerstags von 10 bis 12 Uhr in den Räumen der Beratungsstelle, Bieberer Straße 17.

frauenhaus-offenbach.de

 

Ein Zeitungsartikel der Offenbach Post vom 23.11.2024

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