Die Offenbach Post hat uns zum neuen Frauen*- und Kinderhaus interviewt
Endlich mehr Platz für Schutzsuchende
INTERVIEW „Frauen helfen Frauen“-Mitarbeiterinnen über Neubau und Wünsche
Offenbach – Die Adresse ist streng geheim, soll es doch ein geschützter Zufluchtsort für Frauen und Kinder sein, die von Gewalt betroffen sind. Doch das Offenbacher Frauenhaus erfüllt längst nicht mehr alle Anforderungen. Ein Neubau ist beschlossen, vom Land Hessen gab es eine Million Euro (Artikel unten). Im Interview sprechen Angela Sindermann und Laura Dinger vom Verein „Frauen helfen Frauen“, der das Frauenhaus betreibt, über das Vorhaben.
Ganz salopp gefragt: Warum braucht Offenbach ein neues Frauen- und Kinderhaus?
Die Kapazitäten decken nicht den Schutzbedarf ab. Schon lange kämpfen wir mit anderen Frauenhäusern für ausreichend Schutzplätze. Die Istanbul-Konvention sieht für eine Stadt dieser Größe mehr Plätze vor. Darüber hinaus ist unser Haus nicht mehr zeitgemäß und bedarfsgerecht. Es ist zu eng, es gibt keine ausreichenden Flächen für Gemeinschaft, zugleich fehlen Rückzugsmöglichkeiten. Dabei haben Frauen und Kinder nach Verlassen der akuten Gewaltsituation ein erhöhtes Ruhebedürfnis. Außerdem ist die Zugänglichkeit für Menschen mit besonderen Bedürfnissen und Behinderungen am Standort sehr stark eingeschränkt, da es Barrieren (wie Treppen) und keinen Aufzug gibt.
Das Gebäude muss also eine Menge besonderer Anforderungen erfüllen...
Ja, es muss ein sicheres, ruhiges und schönes Wohnen für Frauen und Kinder ermöglichen,
damit diese sich nach der erlebten Gewalt stabilisieren und sich eine Zukunftsperspektive erarbeiten können. Außerdem braucht das Gebäude Platz für Gemeinschaft, aber auch für Rückzug, Arbeits- und Lagerungsräume für Hauswirtschaft, Beratung und pädagogische Arbeit. Das Gebäude muss Zugangsbarrieren vermindern es muss rollstuhlgerechte Wohnmöglichkeiten geben. Ein Neubau kann leichter all diesen Bedürfnissen angepasst werden als ein Bestandsgebäude.
Den richtigen Standort zu finden war nicht einfach?
Es hat lange gedauert. Aber am Ende wurde diese Herausforderung in enger Zusammenarbeit mit den Zuständigen der Stadt Offenbach gemeistert. Zunächst wurde von unserem Verein in Zusammenarbeit mit Architekten und auf der Basis von Empfehlungen und Qualitätsstandards für Frauenhäuser ein Bedarfsprofil erstellt. Auf dieser Basis wurde dann von der Stadt nach einem geeigneten Standort gesucht und mit uns als Trägerin eine Entscheidung gefällt. Dies war nicht leicht, da Standorte nicht immer den ermittelte Bedarfen gerecht wurden und somit die Suche aufgrund der Gegebenheiten vor Ort Kompromisse erfordert hat. Umso mehr freut es uns, dass durch ein hohes Engagement und Austauschbereitschaft aller Verantwortlichen mittlerweile ein geeigneter Standort gefunden wurde.
Wie weit sind die aktuellen Planungen? Wann ist Baubeginn, wann soll es fertig sein und was passiert mit den bisherigen Räumen?
Wir befinden uns noch mitten im Prozess. Mehr können wir daher gerade nicht sagen. Wir hoffen aber auf einen Projektabschluss in absehbarer Zeit.
Und wie steht es mit der Finanzierung? Vom Land gab es ja jetzt einen Zuschuss in Höhe von einer Million Euro...
Wir sind sehr froh, dass uns dieses Geld vom Land Hessen angekündigt wurde und möchten uns hiermit bei allen dafür bedanken, die sich gemeinsam mit uns für ein neues Frauen- und Kinderhaus in Offenbach engagiert haben! Wir hoffen aber auch auf weitere Finanzierungsmöglichkeiten für die weitere Ausgestaltung des Frauen- und Kinderhauses.
Worauf freuen Sie sich im lang ersehnten Neubau?
Am meisten auf die Entzerrung und darauf, dass wir mehr Frauen und Kindern Schutzplätze anbieten können. Endlich gibt es mehr Platz und damit ein stressfreieres und privateres Wohnen. Außerdem können sich dort alle durch die erhöhte Barrierearmut freier und mobiler bewegen: Es gibt häufig Frauen, die aufgrund der erlebten Gewalt akut verletztoder chronisch bewegungseingeschränkt sind, für die Wohnbarrieren eine große Herausforderung darstellen. Wir freuen uns außerdem über explizit rollstuhlgerechte Wohneinheiten. Frauen mit Behinderung sind statistisch häufiger von häuslicher Gewalt betroffen. Trotzdem gibt es deutschlandweit sehr wenige Frauenhausplätze für sie. Und wir freuen uns über schöne große Gemeinschaftsflächen, wo Bewohnerinnenzusammenkommen und Solidarität und Gemeinschaft erfahren können, und wo wir
pädagogische Angebote machen können. Ein weiteres Plus ist, dass wir mehr Platz für die Arbeit von uns Mitarbeiterinnen haben werden. Bisher konzentriert sich das auf sehr kleine Büroräume mit einem winzigen Beratungszimmer und nur wenig Lagerungs- und Arbeitsräumen. Und wir freuen uns auch sehr darauf, das Haus schön und zeitgemäß zu gestalten und einzurichten!
Das klingt schon mal vielversprechend. Was wünschen Sie sich noch für die Zukunft der Arbeit von „Frauen helfen Frauen“?
Eine erhöhte gesellschaftliche Sensibilisierung für die Thematik patriarchale Gewalt und deren Folgen. Mehr Verständnis für die Situation der Betroffenen und den Ausnahmezustand, wenn sie ihr
ursprüngliches Leben und damit Freundschaften, Kitaplätze, Schule, Job, Familie, finanzielle
Sicherheit und vieles mehr hinter sich lassen zu müssen, weil sich Täter dafür entscheiden, ihren Frauen und Kindern, ihren Schwestern, Müttern Gewalt anzutun.
Wir wünschen uns eine einzelfallunabhängige Finanzierung des Frauen- und Kinderhauses. Noch ist die Finanzierung von der Situation der betroffenen Frau abhängig.
Es gibt also Fälle, die aufgrund ihrer sozialen Situation nicht aufgenommen werden können?
Genau. Der Platz wird nicht finanziert, weil die Frau nicht ins sozialrechtliche Raster passt. Die einzelfallunabhängige Finanzierung würde Gewaltschutz für alle garantieren.
Außerdem wünschen wir uns eine bevorzugte Wohnraumvergabe für Frauen aus unserer Beratungsund Interventionsstelle – diese existiert bereits für Bewohnerinnen aus dem Frauen- und
Kinderhaus. Wir setzen uns aktuell für die bevorzugte Vergabe von Betreuungsplätzen oder Ganztagsschulplätzen für die Kinder, die im Frauen- und Kinderhaus leben, ein. Fast immer haben sie ihren früheren Kita- oder Hortplatz durch die Flucht in unser Haus verloren, sie mussten ja schutzbedingt die Stadt wechseln. Und nicht zuletzt wird die erhöhte Anzahl von Plätzen künftig weitaus mehr Personal benötigen. Nur so wird es möglich sein, die in unserem Haus wohnenden Menschen qualifiziert und gut in ihren neuen Lebensweg zu begleiten.
Das Gespräch führte Veronika Schade.
Kopie des Interviews aus der Offenbach Post vom 03.08.2024